Brass Tactics im Test

Brass Tactics im Test: VR-Echtzeitstrategie par Excellence


Schon auf dem Papier weist alles darauf hin, dass Brass Tactics ein gutes Spiel ist. Oculus lässt sich bei der Qualität seiner Exklusivtitel nicht lumpen (siehe Lone Echo), und hinter Hidden Path Entertainment (Witchblood) stehen die Köpfe, die einst den zeitlosen Klassiker Age of Empires 2 entwickelten. Das Resultat dieser Kooperation kann sich durchaus sehen lassen: Brass Tactics hält größtenteils, was die Vorschusslorbeeren versprechen.

  1. VR-Kriegsführung mal anders
  2. Brass Tactics: Echtzeitstrategie 2.0
  3. Es gibt nur ein „Wärts“: Vorwärts!
  4. Taktisch kluge Bedienung
  5. Schwache Kampagne…
  6. … starke Einzel- und Mehrspielermodi
  7. Ein Fest für Augen und Ohren
  8. Unsere Wertung

VR-Kriegsführung mal anders

Dabei ist das Spiel mehr als ein AOE-Klon im Virtual Reality-Gewand. Der Titel weist ebenso viele Gemeinsamkeiten mit klassischen Strategiespielen auf, wie es Unterschiede gibt. Auch in Brass Tactics bauen wir Gebäude mit unterschiedlichen Funktionen, führen Truppen gegen unsere Gegner ins Feld und sammeln Ressourcen, um Einheiten ausbilden und Upgrades durchführen zu können.

So weit, so vertraut – kommen wir zu den Unterschieden: Auf der Oculus Rift erwarten wir natürlich ein anderes visuelles Erlebnis als bei einem 2D-Strategiespiel, und das bekommen wir auch. In Brass Tactics befindet sich die Spielkarte ähnlich wie in Skyworld auf einem Tabletop, vor dem wir stehen. An unserem Ende befindet sich unsere Burg, die unser Hauptquartier darstellt. Ziel einer jeden Partie ist es, die gegnerische Burg, die sich am anderen Tischende befindet, zu zerstören.

Brass Tactics: Echtzeitstrategie 2.0

Ein ebenfalls ungewohntes Feature: Es gibt keinen Fog of War, das gesamte Spielfeld ist von Anfang an aufgedeckt. Wir sehen also jederzeit, was unser Gegner macht. Und nicht nur das, wir sehen sogar unseren Widersacher hinter dem Tisch stehen. Das lenkt uns aber mindestens genauso ab, wie es hilfreich ist. Ständig haben wir ein Auge darauf, was der gegnerische General macht und versuchen, seine Aktionen zu lesen, um entsprechend zu (re)agieren.

Dragons beyond the Wall! Die Burg unseres Gegners ist gleich fällig.

Dieses Feature ist eine der Maßnahmen, die Brass Tactics zu einem vergleichsweise schnellen und dynamischen Strategiespiel macht – obwohl das Spieltempo auf den ersten Blick eher gemächlich erscheint. Einige weitere Kniffe im Spieldesign sorgen dafür, dass die Matches maximal 30 Minuten dauern, in denen wir dafür ständig in Bewegung sind. Stundenlange Partien gibt es hier nicht. Das ist auch gut so ist, denn schließlich spielen wir im Stehen.

Es gibt nur ein „Wärts“: Vorwärts!

Zum Beispiel ist das aus 2D-Strategietiteln bekannte „Einmauern“ in Brass Tactics keine Option, es ist schlichtweg nicht möglich. Wir können Gebäude und Geschütztürme nämlich nur an vordefinierten Punkten aufstellen. Das klingt erstmal nach einer unnötigen Beschränkung, macht aber durchaus Sinn. Die Spielkarte ist in mehrere Gebiete unterteilt, in jedem Gebiet gibt es mehrere Sockel, auf denen wir bauen dürfen. Haben wir alle Sockel in einem Gebiet bebaut, gehört es uns.

Die Gebäude, die wir errichten, fungieren gleichzeitig als Truppenausbildungsplatz. Wir können zwischen unterschiedlichen Türmen auswählen, in denen wir jeweils verschiedene Einheiten bauen können. Es gibt Behausungen für Infanteristen, Kavallerie und Bogenschützen sowie für einige Spezialeinheiten. Beim erstgenannten Trio greift das altbekannte Stein-Schere-Papier-Prinzip: Infanteristen schlagen Kavallerie, Kavallerie schlägt Bogenschützen, Bogenschützen schlagen Infanteristen.

Die Schlachten in Brass Tactics arten oft in filmreife Spektakel aus.

Durch Upgrades können wir dieses Muster jedoch teilweise aufbrechen: Mit dem Unsichtbarkeits-Upgrade schleichen sich unsere Infanteristen beispielsweise unbemerkt an Bogenschützen heran und metzeln sie nieder. Eliteeinheiten wie fliegende Drachen oder bewegliche Artilleriegeschütze eröffnen noch mehr Möglichkeiten für taktische Finessen.

All diese Einheiten bekommen wir natürlich nicht für lau, was uns wieder zu den Gebieten zurückführt. Mehr eigene Gebiete bedeuten in Brass Tactics automatisch mehr Ressourcen: Einige unserer Untertanen machen sich direkt nach der Eroberung daran, Gold und Diamanten abzubauen, die wir für Upgrades unserer Burg und Einheiten verwenden können. Gleichzeitig erhöhen eigene Ländereien unsere Bevölkerungskapazität – wir dürfen mehr Einheiten bauen.

Taktisch kluge Bedienung

Wer also in seinem kleinen Startgebiet bleibt, kann gar nicht gewinnen, wir müssen demzufolge stets offensiv denken und spielen. Dass wir all unseren verfügbaren Hirnschmalz dafür verwenden können, ad hoc die beste Taktik auszubrüten und gleichzeitig umzusetzen, ist auch ein Verdienst der hervorragenden Steuerung und Nutzer-Oberfläche.

Wir stehen nicht während des gesamten Spiels statisch hinter dem großen Spieltisch, sondern können die Perspektive wechseln. Dies tun wir, indem wir mit der Grip-Taste unseres -Controllers den Tisch unter uns hinwegziehen. So können wir uns in Sekundenschnelle über das gesamte Schlachtfeld bewegen. Die Höhe des Tisches können wir ebenfalls verstellen, und sind so bei Bedarf ganz nah dran am Geschehen.

Unsere Einheiten markieren und steuern wir mit einem intuitiven Mix aus Gesten und Knopfdrücken, der uns schnell in Fleisch und Blut übergeht. Sämtliche relevanten Spielinformationen und Menüs sind ebenfalls schön in die Spielwelt eingebettet. Drehen wir unsere Hand, erscheint in unserer Handfläche das Baumenü für Gebäude. Mit der anderen Hand greifen wir dann das Gebäude unserer Wahl und legen es in den entsprechenden Sockel auf dem Spielfeld.

Informationen zum Stand unseres Reichtums an Ressourcen werden stets auf unserem virtuellen Handrücken angezeigt. Was eine bestimmte Truppeneinheit kostet, sehen wir direkt, indem wir das entsprechende Gebäude auf dem Spieltisch auswählen. Mit einem einfachen Knopfdruck auf den Turm können wir dann Einheiten bauen. Ein Fortschrittsbalken zeigt uns an, wie lange es bis zur Einsatzbereitschaft dauert. Sind unsere Truppen bereit, erscheinen sie automatisch neben dem Gebäude.

Schwache Kampagne…

So können wir uns nach einer kurzen Eingewöhnungszeit voll auf das eigentliche Spiel konzentrieren. Wir haben die Auswahl zwischen verschiedenen Spielmodi: Es gibt eine Kampagne sowie einen Multiplayer– und einen kooperativen Modus. Wir können auch einzelne Kämpfe gegen KI-Gegner spielen.

Die acht Missionen umfassende Story ist dabei leider der schwächste Teil des Spiels. Es gibt keinerlei Zwischensequenzen, die Geschichte wird vielmehr von NPC-Charakteren erzählt. Gleich zu Beginn werden uns dabei ohne jegliche Hintergrundinformationen zur Welt, in der Brass Tactics spielt, unmotiviert derart viele Namen irgendwelcher Charaktere um die Ohren gehauen, dass wir versucht sind, direkt auf Durchzug zu stellen.

Wer eine epische und erzählerisch gute Story erwartet, ist hier leider an der falschen Adresse. Dass man sich nach einer erfolgreichen Mission direkt im Hauptmenü wiederfindet, zerstört die Illusion, eine tatsächliche Geschichte zu erleben vollends.

Ebenso zieht der Schwierigkeitsgrad in späteren Missionen so übertrieben stark an, dass sich selbst auf dem normalen Schwierigkeitsgrad stellenweise Frust breit macht. Lobenswert ist allerdings, dass das Spiel inklusive Vertonung komplett auf Deutsch spielbar ist, auch wenn die Sprecher teilweise unfreiwillig komisch klingen. Das englische Original macht das besser.

… starke Einzel- und Mehrspielermodi

Dennoch führt uns die Kampagne am Anfang behutsam in die Spielmechaniken ein, was sie zum idealen Training für die Einzel- und Koop-Schlachten gegen KI-Gegner und den Multiplayermodus macht. Ohne das belanglose Story-Korsett konzentrieren wir uns hier auf das toll ausbalancierte Gameplay auf über 20 verschiedenen Karten.

Denn anders als in der Kampagne haben wir hier nie das Gefühl, das unser Computergegner schummelt, und die Duelle gegen menschliche Spieler machen besonders Spaß. Allerdings kam es bei unserem Test noch recht häufig zu Verbindungsabbrüchen – wir hoffen, dass das nur eine vorübergehende Momentaufnahme ist.

Schön am Multiplayermodus ist aber, dass wir mit unseren Oculus Home-Avataren in den Kampf ziehen. Das verleiht den Duellen eine persönliche Note, denn wir sehen (basierend auf dessen Avatar) tatsächlich, wer unser Widersacher ist.

Cool ist auch, dass wir unserem Gegenüber zum Beispiel winken können – oder uns während und nach dem Match per Sprachchat mit ihm unterhalten können, wenn wir das denn möchten. Diese Art Interaktion ist das, was VR-Spiele so besonders macht, und hier ist das Ganze noch dazu stimmig in den Spielkontext eingebunden.

Ein Fest für Augen und Ohren

Apropos stimmig: Audiovisuell wirkt Brass Tactics nicht nur wie aus einem Guss, sondern ist noch dazu vortrefflich gelungen. Der Art-Style liegt irgendwo zwischen Fantasy und Steampunk und versprüht seinen ganz eigenen Charme. Wahrhaft atemberaubend ist die Detailverliebtheit, die die Entwickler an den Tag legen.

Das Art-Design von Brass Tactics ist der Hammer.

Wenn wir nah an den Spieltisch heranzoomen, können wir problemlos die einzelnen Steine und Fugen im Mauerwerk unserer Burg ausmachen. Dabei tritt so gut wie kein Kantenflimmern auf. Auch der Fliegengitter-Effekt ist kaum bemerkbar, womöglich schaltet das Spiel auf den höheren Grafikeinstellungen automatisch Supersampling hinzu.

Die Effekte und Animationen können sich ebenfalls sehen lassen: Explosionen und Feuer sehen überzeugend realistisch aus und es ist eine Freude, unseren kleinen Einheiten aus der Nähe beim Marschieren und Kämpfen zuzusehen.

Wenn viele Truppen gleichzeitig aufeinander einprügeln oder Gebäude attackieren, clippen sie allerdings manchmal ineinander – anders ließe sich das Ganze aber wahrscheinlich nicht realisieren. Das ist aber Kritik auf hohem Niveau, und auch die Sound-Kulisse ist – abgesehen von der bereits erwähnten deutschen Sprachausgabe – überzeugend.

Unsere Wertung

Mein Fazit:

Brass Tactics ist nicht einfach ein VR-Echtzeitstrategiespiel - es nimmt bewährte Elemente aus dem Strategie-Genre und passt sie perfekt an die virtuelle Realität an. In keiner Sekunde habe ich etwa ein klassisches Leisten-Interface vermisst oder mich nach einer Maus- und Tastatursteuerung gesehnt. Noch dazu verkürzen geschickt platzierte Gameplay-Elemente die Spieldauer einer Partie auf ein ideales Maß, ohne dass diese Maßnahmen künstlich oder als Mittel zum Zweck erscheinen. Der herrlich direkte Mehrspielermodus, in dem wir unserem Gegner auch physisch gegenüberstehen, ist für mich ein weiteres Highlight. Die schwache Kampagne kann ich deshalb leicht verschmerzen. Und jetzt entschuldigt mich - ich muss zurück in die Schlacht!

Macht Brass Tactics Spaß? Ja! Und es ist definitiv das richtige Spiel für euch, wenn ihr

  • es liebt, euren Untertanen Befehle zu erteilen.
  • stundenlange Basisbau-Orgien zum Einschlafen findet.
  • keine Angst davor habt, der Gefahr direkt ins Auge zu sehen.

Brass Tactics ist eher nichts für euch, wenn ihr

  • lieber gegen gesichts- und körperlose Gegner antretet.
  • eine Story sucht, die so vielschichtig ist wie Game of Thrones.
  • am liebsten im Liegen spielt.

Falls ihr euch nicht sicher seid, in welche dieser beiden Kategorien ihr euch einordnen würdet, empfiehlt sich ein Blick auf Brass Tactics Arena. Dabei handelt es sich um eine Kostenlos-Variantedes Spiels, bei der ihr auf einer Karte gegen die KI oder menschliche Gegenspieler antreten könnt.

Das VR-Strategiespiel Brass Tactics erhaltet ihr hier:

Getestet mit: Oculus Rift

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